Ich hasse Spinnen! Ich hasse sie abgrundtief. Und genau da könnten sie meiner Meinung nach auch immer bleiben. Abgrund-tief.
Ich fürchte mich nicht vor ihnen. Aber bei deren Anblick ekelt es mich so dermaßen, dass ich spontan kotzen könnte.
Ich glaube, es gibt nichts auf der Welt, vor dem es mich so graust, wie vor Spinnen.
Ob Kinder oder Erwachsene stinken – aus welchen Gründen auch immer…
Ob Kinder oder Erwachsene sich auf mich übergeben – aus welchen Gründen auch immer…
Ob der Bauer aus dem Nachbarort mit dem offenen Jauchenfass an mir vorbei fährt – aus welchen Gründen auch immer …
(Ich wüsste nämlich nicht, was mich dazu bewegen würde, in der Nähe eines Jauchenfasses zu stehen.)
…keines dieser Dinge löst in mir solch einen akuten Brechreiz aus, wie eine große schwarze Spinne.
Wobei man ja darüber diskutieren könnte, wie groß „groß“ ist. In meinem Fall sind immer alle groß. Groß genug, um den Würgereflex auszulösen.
Wir wohnen am Land. Mehr Erklärung bedarf es dazu nicht.
„Spinnen sind wichtig! Die fressen auch die Gelsen.“, höre ich ständig. Ist mir egal. Gelsen hasse ich auch. Die sind sowieso das unnötigste Getier auf Gottes Erden.
Die braucht NIEMAND! Wenn die anstatt Blut wenigstens Fett saugen würden…
Ja, dann könnten sie es glatt auf die Liste meiner besten Freunde schaffen. Aber so: NÖ.
Und, dass Stechmücken zu den Grundnahrungsmitteln der Spinnen gehören, macht die Achtfüßler auch nicht sympathischer.
Früher mal, als man es noch fachmännisch „Arachnophobie“ nennen konnte, habe ich bei Entdeckung eines dieser Viecher in MEINEM Lebensraum (-schließlich hab ICH hier die Miete bezahlt!) einen hysterischen Schrei von mir gegeben. Oder mehrere. Nachbarn waren oft des Glaubens, mir würde Furchtbares angetan. Aber in Ermangelung eines Mannes im Haus (den ich damals eh nur zum Öffnen der Gurken- oder Marmeladengläser und eben zum Spinnen töten – Entschuldigung! ENTFERNEN. – gebraucht hätte…), musste ich mich dieser Sache früher oder später selbst annehmen.
Mit einem Turnschuh auf das arme Tier zu klatschen, damit ich im Nachhinein auch noch die ganze Matsche vom Fußboden oder der Wand (gleich verbunden mit erneutem Ausmalen dieser Stelle) selbst entfernen müsse (Ist Ihnen jetzt auch so übel bei dieser Vorstellung wie mir? …Allein das Geräusch….wrääh!), war keine Option.
Würgereflex. Sie wissen schon.
Aber einfach so konnte ich das Getier doch nicht hier in ein und demselben Raum lassen! Das konnte ich weder mir, noch dem Tier zumuten.
Und ganz SOOO schlimm ist es ja gar nicht, wenn man eine Spinne sieht. Richtig schlimm wird es erst, wenn man sie NICHT mehr sieht und nicht weiß, wo sie hin gekrabbelt ist. Sind ja ganz schön schnell diese Teile. Kein Wunder, mit acht Beinen.
Es kam, wie es kommen musste: Selbst ist die Frau! Was blieb mir auch anderes übrig?
Ich lernte, mich der Gefahr zu stellen. Mensch gegen Tier. So wie damals, als es noch Dinosaurier gab. Ach so! Da gab es ja noch keine Menschen. Blöder Vergleich. Dann nehmen wir halt Mammuts oder Säbelzahntiger. Eh fast das gleiche. Wieso haben sich Spinnen eigentlich kein Beispiel an den Dinosauriern genommen? Die hätten doch auch im Mesozoikum geboren werden und am besten gleich auch im selbigen wieder aussterben können…
Nun gut. Da auf die Natur in diesem Fall auch kein Verlass war, musste ich mich meinen Ängsten, oder besser gesagt, dem Ekel stellen. Ich fing an, den Spinnen Namen zu geben. „Thekla“ für kleinere, in Anlehnung an die Geigen spielende Spinne aus Biene Maja und „Morla“ für die dicken, fetten, richtig grauslichen, mit den langen Beinen.
Jaaaa, ich weiß! Morla ist eigentlich die nette Schildkröte aus der Unendlichen Geschichte. Aber da ich Schildkröten LIEBE, machte es die ganze widerliche Angelegenheit einen klitzekleinen Deut besser. Was ein Name so ausmacht!?
Außerdem kamen wir – also die Spinne und ich – so auf eine persönlichere Ebene.
Ich begann meinen Brechreiz unter Kontrolle zu kriegen.
Gelang mir nicht immer, aber immer öfter.
Mit einem Glas, das ich über die Spinne stülpte und einem Blatt Papier, das ich vorsichtig zwischen Boden oder Wand und dem Glas, mit der sich darin befindlichen Achtbeinigen, schob, stand ich dann mehr oder weniger hilflos da. Wie krieg ich jetzt das verdammte Ding vom Boden hoch, oder von der Wand weg, OHNE dass mir das Viech wieder entschlüpft und seine Reise in das Nirvana irgendeiner Parkettbodenritze, hinter den Kleiderschrank oder sonst wohin antritt?
Gelang mir nicht immer, aber immer öfter.
Der Mensch wächst an der Herausforderung.
Irgendwann entwickelte ich auch die perfekte Technik. Mit und ohne Würgereflex.
Ich trage also das vor mir selbst gerettete Getier nach Draußen (-weit genug weg vom Haus wohlgemerkt!) und setze es in der Wiese oder am Waldrand (Nein, ich fahre dafür nicht extra zu einem Wald! Mittlerweile wohnen wir direkt daneben.) aus.
Meistens „reckt“ es mich dabei nochmal schön. Aber stolz klopfe ich mir dann selbst auf die Schulter, ob meines Mutes. Jawohl!
Wenn ich dann und wann irgendwo draußen – die Betonung liegt auf DRAUSSEN!!! – mal ein Spinnennetz entdecke (OHNE Bewohnerin!), bewundere ich sogar ihr Werk. Besonders schön sehen sie ja im Morgentau aus. Die Netze, nicht die Spinnen. Meine Freundin nennt sie liebevoll „Naturtraumfänger“.
Traumfänger hängen aber bekanntlich über dem Bett.
Danke. Ich verzichte.
Wir haben also einen Deal. Ich drin, Spinne draußen. Und wenn sich dann doch mal eine nach Drinnen verirrt – schließlich hat sich jeder von uns schon mal verlaufen, in der Tür oder im Weg geirrt (warum haben Spinnen kein Navi?) – zeige ich ihr den Weg ins Freie. Weil aber diese Tiere meinen Wegbeschreibungen so schlecht folgen können – und das liegt nicht an meinem oder ihrem geografischen Wissen oder mangelnder Ortskenntnis, vielleicht am Gehör…haben Spinnen Ohren? – trage ich sie einfach (NEIN! „Einfach“ ist das nach wie vor wirklich nicht! …immer noch Wrääh!) hinaus.
Da ich eine, wie ich meine, gute Erziehung genossen habe und ein sehr höflicher Mensch bin – oder sein kann – verabschiede ich mich auch freundlich und bitte sie NIE WIEDER zurück zu kommen!
Ich bin mir aber nicht sicher, ob Spinnen zu einer Art von Schadenfreude oder ähnlichem fähig sind und dann einfach ungeliebte Verwandte zu mir schicken? Scheinbar dürften sie doch zu Wegbeschreibungen fähig sein.
Oder sie wollen mich einfach nur verarschen.
Oder sie möchten mich jedes Mal aufs Neue auf die Probe stellen.
Der Mensch wächst auch an seinen Aufgaben.
Aber warum erzähle ich Ihnen das alles?
Weil die Spinnen – und diese Geschichte dazu – sinnbildlich sind für alle unsere Ängste. Für alles, was uns Unbehagen bereitet. Für alles, von dem wir glauben, dem nicht gewachsen zu sein. Für Neues. Für Altes. Für verstaubte Verhaltensmuster.
Wenn wir uns diesen stellen – und NUR DANN – können wir sie auch bewältigen.
Nicht immer. Aber immer öfter.
Und wenn es sein muss, manchmal auch mit Brechreiz.
Aber wenn wir wieder eine Hürde, auch wenn sie für andere noch so klein sein mag, überwunden haben, macht uns das stärker, stolzer, froher, gelöster, befreiter,…
Es macht uns einfach BESSER!
Besser in unserem Tun, in unserem Sein.
Und wenn SIE das nächste Mal eine Spinne im Haus haben, holen Sie nicht gleich die Fliegenklatsche, eine zusammengerollte Zeitung, den Turnschuh oder gar den Kammerjäger.
Vielleicht denken Sie an diese Geschichte, holen sich ein Glas und ein Blatt Papier und schenken diesem Tier die Freiheit.
Auch wenn Sie dabei am liebsten kotzen würden, so wie ich.
Wenn Sie danach das Glas ordentlich auswaschen oder sich einfach ein frisches nehmen, können Sie sich danach zu Belohnung ja was einfüllen, das Ihrer heldenhaften Tat gerecht wird.
Champagner oder so…