Gestern habe ich entdeckt, dass in unserem Wohnzimmer die Farbe an den Wänden abblättert. Ein bisschen hier, dort drüben auch und da…und da auch! Bei unseren über 40 Jahre alten Holzfenstern zieht es herein, das Muster der Bodenfliesen im Vorhaus ist abgelaufen. Die sonnengelben Fliesen mit Blütenmuster im Bad im 15x15cm Format werden bestimmt bald wieder modern. Der Klodeckel ist kaputt. Unsere Spülmaschine bekommt das Geschirr nicht mehr richtig sauber, der Kühlschrank macht komische Geräusche und die Dichtung ist gerissen, die Temperaturanzeige am Wasserboiler spinnt.
Ich fluche und schicke meinem Mann eine verzweifelte WhatsApp Nachricht:
„Schatz, unser Haus fällt auseinander!“
Er meinte beruhigend, dass es nur ein bisschen Spachtelmasse und neue Farbe brauche, ein neuer Kühlschrank wäre schon bestellt, der WC Deckel könne problemlos umgetauscht werden, weil 5 Jahre Garantie (Anmerkung meinerseits: wo ist die verdammte Rechnung???), den Geschirrspüler werde er sich mal genauer anschauen (nachdem ich die beiden einander vorgestellt habe…. Sorry Schatz, der musste sein, ich find den so lustig. Auch wenn du selbstverständlich weißt, wo der Geschirrspüler ist. Bussi!), und den Rest werden wir schon peux à peux angehen.
Gott sei Dank kann er nicht sehen, wie ich mit den Augen rolle. Und NEIN! Ich suche da hinten nicht mein Gehirn. *zungezeig*
Heute habe ich mehr als das doppelte Budget, das ich für eine potentielle neue Abendgarderobe für die Firmenweihnachtsfeier ausgeben wollte, in einen neuen Bremskraftverstärker für mein fünfzehn Jahre altes Auto investiert. Aber wir teilen freundschaftlich. Der 4er Golf Kombi bekommt das Ersatzteil, ich die Luftpolsterfolie, in der es verpackt ist. Knack! Knack! Ich zerdrücke alle Pölsterchen alleine, meine Kinder dürfen neidisch zusehen. Knack! Knack! Knack!
Wir sind tief miteinander verbunden! Der alte Golf und ich. Ein bisschen in die Jahre gekommen haben wir unsere Eigenheiten. Man tut auch nicht immer genau das, was von einem erwartet wird, ist immer für eine Überraschung gut. Wir beide sind liebenswert und treue Seelen.
Auch optisch haben wir einiges gemeinsam. Ein paar Macken und Narben hier und dort. Einen ziemlich gewaltigen Hagelschaden vulgo Cellulitis, aber frisch gewaschen und geföhnt, mit ein wenig Politur oder Make-up sehen wir einfach fantastisch aus für unser Alter.
Ich gebe zu, manchmal…nun ja…immer öfter…blicke ich doch etwas neidisch auf die jüngeren und hübscheren Modelle. (Wir sind immer noch bei den Autos!)
Da gäbe es schon das eine oder andere, in dem mein Hintern sich sicher sehr wohl fühlen würde, dessen Lenkrad meine schmalen langen Finger zart umschmeicheln würden und mit meiner schicken Sonnenbrille (eine Ray Ban, die mir mein Mann geschenkt hat) würde ich sicher umwerfend und super „wichtig“ darin aussehen. Lässig würde ich mich in der Parkgarage beim Einkaufszentrum mit meinen schwarzen Michael Kors Schuhen, die mir zu meinem 40. Geburtstag vergönnt waren, aus dem Schlitten schwingen. (Zu blöd nur, dass gerade dann keiner in der Nähe ist, der zusieht. Denn diese doofen Mitbürger gaffen einen ja nur dann an, wenn man über die erste oder letzte Stufe der Rolltreppe stolpert und fast auf der Fresse landet. Freut mich, dass ich zur allgemeinen Erheiterung beitragen konnte! …wieder einmal.)
Na gut. Fassen wir zusammen…nein, ich fasse zusammen:
altes Haus, altes Auto, altes Ich. Tollpatschiges altes Ich. *seufz*
ABER: wäre ich glücklicher mit einem neuen Haus, einem neuen Auto? Wohl kaum.
Mit schlanken Oberschenkeln ohne Hagelschaden? Definitiv.
Zumindest kurzfristig. Genau so lange, bis mich meine Oberarme, der kleine Bauchansatz,
meine 2 kleinen Krüppelzehen (so nennt sie meine Schwester seit der Kindheit – aber nur, weil sie auch solche hat) oder die ersten grauen Haare stören.
Ich denke nach. (JA, manchmal tue ich das, auch wenn böse Zungen das Gegenteil behaupten.)
Ich beginne zu vergleichen. Ich beginne, MICH zu vergleichen oder besser gesagt, das zu vergleichen, was manche anderen Menschen in meinem näheren Umfeld haben, das ich vielleicht gerne hätte.
Jeder von uns hat mindestens einen Menschen in seinem, oft näheren, Umfeld auf dessen Leben– oder eher „vermeintliches Leben“ – man blickt und sich denkt: „Ach, der/die hat es aber schön!“, „Der fällt wohl immer auf die Butterseite!“, „Die fahren schon wieder auf Urlaub! Wir können uns das nicht leisten.“, „Jetzt waren sie wieder shoppen und haben den Kofferraum voller großer Einkaufssackerln!“ (eh schon wissen! Die schönen, großen Papiertüten mit den Kordeln, wo man schon vom Flieger aus sehen kann, aus welchem Laden die kommen), „Jetzt hat sie sich ein neues Auto gekauft! Genau so eines hätte ich auch gerne!“
Ein bisschen neidisch ist man schon, auch wenn man den anderen natürlich alles von Herzen gönnt.
Aber schon mal die andere Seite der Medaille angesehen? Ich schon. Heute.
Was hab ich denn, was andere vielleicht gerne hätten?
Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich bekam ein schlechtes Gewissen, das größer nicht sein könnte. Ein schlechtes Gewissen mir selbst gegenüber und den Menschen, die ich liebe.
Ich hätte auf meinen Weihnachtswunschzettel nur materielle Dinge schreiben können. Sachen, die man sich irgendwo, irgendwann mal kaufen kann. (Gut, auf manche dieser Dinge müsste ich wahrscheinlich bis zu meinem Ableben sparen und dann hätte ich sowieso nichts mehr davon, also spare ich erst gar nicht darauf. Unlogisch? So bin ich.)
Was mir aber gerade eben heute wieder einmal ganz besonders bewusst wurde war, dass man Glück nicht kaufen kann! (Nicht mal mit dem Gewinn eines Solo-6ers im Lotto)
Nicht die frisch ausgemalene Wand, neu lackierte Türstöcke (ja, die alten stören mich auch, hab ich vorhin vergessen zu erwähnen), strahlende Kunststofffenster und moderne Fliesen machen ein Haus zu einem Heim. Es sind die Stimmen, die ich höre, wenn ich nach einem langen Arbeitstag die Eingangstüre aufsperre. Es sind die Menschen, denen diese Stimmen gehören. Egal ob diese gerade laut gemeinsam lachen oder miteinander streiten. Wenn meine Kinder mich schon im Windfang überfallen und zutexten oder meine Hilfe, meinen Rat oder eine Antwort brauchen, noch bevor ich die Schuhe und die Jacke ausgezogen habe. Auch wenn ich es schon mit Socken bis ins Vorzimmer geschafft habe, weil mich niemand gehört hat und mal laut „Hallooo!“ rufe und ein „Hallo Mama!“ durch eine angelehnte Kinderzimmertüre schallt, ein „Hallo Mama! Ich hoffe, du musst nicht gleich aufs Klo, weil da bin ich gerade!“ oder es ein „Hallo Schatzi! Wir sind schon beim Abendessen, hol dir doch schnell einen Teller!“ (rmpf…hätten sie nicht die paar Minuten auf mich warten können?) ist.
Mein Mann und meine Kinder, meine eigene kleine Familie, DAS ist mein Glück!!!
Und ich wünsche mir von Herzen, dass jeder auch dieses Glück einmal erfahren darf!
(speziell du! – du weißt schon, dass du gemeint bist)
Ich wünsche es mir so sehr! Für dich.